Gedanken zum Krieg in der Ukraine

Die Berichte und die Bilder aus der Ukraine machen mich nicht nur betroffen, sondern auch wütend. Ich weiß, dass Wut nicht weiterhilft und keine Lösung ist. Somit bleibt eine Betroffenheit zurück und ein Nachdenken über das Geschehen.

Wenn ich so manche Meinungsbilder verfolge, nehme ich erschrocken wahr, dass bis heute von sich gegenüber stehende Systemen und Weltmächten gesprochen wird. Haben wir diese Zeiten nicht überwunden?

Ich bin heute 60 Jahre alt. Vor 40 Jahren musste ich mich entscheiden, ob ich Soldat der NVA werde und “mit der Waffe meine Heimat verteidigen” soll oder ob ich als Bausoldat ohne Waffe meinen Pflichtdienst leiste. Ich entschied mich Bausoldat zu werden und akzeptierte auch die Konsequenzen.

Warum tat ich es? Mir war als 20-Jähriger bewusst, dass ich keine Angst vor dem “Westen” haben brauchte. Von da ging keine Gefahr für unser Land aus. Entscheidungen fielen dort demokratisch, es gab eine Opposition und eine Meinungsvielfalt. Ein Angriffskrieg der NATO war für mich ausgeschlossen. Eine Verteidigung der damaligen DDR durch westliche Angriffe war unwahrscheinlich. Die für mich gesehene Gefahr kam aus dem eigenen Lager. Sollte ich ggf. gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt werden oder vielleicht in Polen oder in der damalige Tschechoslowakei? In Polen rumorte es damals durch die Bewegung um “Solidarność”, in der Tschechoslowakei wurden 1968 die demokratische Strömung durch den Einmarsch der Warschauer Vertragsstaaten unterbunden. Ängste hatte ich vor Entwicklungen in dem eigenen Land. Waffen bedeuten dabei nichts Gutes!

Sollte ich ein zerfallendes Land militärisch stützen? Sollte ich auf ein Land schwören, dass keine Zukunft hatte?

Im “Osten” war es nicht möglich, das bestehende System zu reformieren. Ich hatte Bedenken davor, mit welchen Folgen dieses sogenannte sozialistische System zusammenbrechen wird. Die Wirkungen hätten fatal sein können. Wenn ein System nicht erkennt, dass seine Zeit um ist, wird es aggressiv. Es hat nichts mehr zu verlieren und ist bereit im Chaos zu versinken. Beispiele gibt es dazu genug.

Acht Jahre später fiel das System des Ostens in sich zusammen. Michael Gorbatschow war in dieser Zeit ein Glücksumstand und verhinderte Schlimmeres. Schon damals hätte es eskalieren können.

Ich glaubte, dass die Zeit der Weltmächte damit vorbei ist. Staaten haben sich auf Augenhöhe zu begegnen und ihre souveräne Freiheit zu akzeptieren. Kein Staat ist perfekt, es braucht die Erkenntnis und den Willen sich zu ändern. Das “westliche System” ist in sich reformierbar .

Dass sich Russland nun zu einer Diktatur entwickelte hat, ist erschreckend! “Zar Putin” regiert das Land totalitär und lässt keine liberale bzw. demokratische Entwicklung zu. Der Gedanke an Weltmacht und Erreichung alter geopolitscher Größe sind groteske Visionen eines alternden Mannes im Kreml. Er propagandiert den paranoiden Gedanken, dass die NATO Russland angreifen wird. Dabei ist es die eigenen Angst, dass sein totalitäres System zusammenbricht. Diktatoren können nicht mehr zurück!

Hier kommt wieder mein Angstgefühl ins Spiel. Das aktuelle russische System ist nicht reformierbar, es wird in sich zusammenstürzen und kann dabei Chaos erzeugen. Die Ukraine ist ein augenblickliches Beispiel dafür.

Die Weltgemeinschaft kann sich nur dafür stark machen, dass das “System Putin” bald zu Ende geht und die Menschen in seinem Einflussbereich wieder Perspektiven bekommen.

Russland kann ein freies, liberales, demokratisches Land werden, welches selbstverständlich in ein friedliches Europa integriert werden kann. Allein der Gedanke, dass sich Russland und der Rest von Europa feindlich gegenüberstehen, ist in sich schon abstrus.

Ein Streben nach Weltmacht sollte gänzlich aus unserem Umfeld verschwinden. Russland, USA oder China haben keinen Anspruch Weltmächte zu sein, sie sind nichts weiter wie andere Staaten auch, mit gleichen Rechten und Pflichten.

Hoffen wir, dass es gelingt Putins Wahn zu stoppen und die Ukraine genauso wie Russland in die europäische Gemeinschaft zu integrieren.

Text: Robert Hartmann