160. Geburtstag von Heinrich Peus

In diesem Jahr begehen wir gleich zwei bedeutende Ereignisse um den großen Sozialdemokraten Heinrich Peus. Erstens jährt sich sein Geburtstag zum 160. Mal und zweitens begeht die Stadt Dessau das hundertjährige Jubiläum des Ido-Weltkongresses. Ende August werden sich für drei Tage die Ido-Freunde hier treffen. Ein umfangreiches Programm ist bereits in Planung.

Peus war nicht nur Politiker und Sozialdemokrat, er war auch ein Visionär seiner Zeit. Neben vielen gesellschaftlichen und technischen Fortschrittsgedanken hatte er auch die Vision des Internationalismus und einer Weltsprache. Bis heute gibt es in aller Welt Menschen, die sich mit der Ido-Sprache verständigen.

Was wäre unsere Gesellschaft ohne Visionen? Und genau deswegen sollten wir Peus würdigen und uns nach unseren heutigen Visionen fragen…

Im Oktober 1935, zwei Jahre vor seinem Tod, schrieb Peus einen Brief an den ehemaligen Oberbürgermeister Friedrich Hesse:

„Wir leben in einer schlimmen Zeit, Just, was jetzt im nationalem Wahn geschieht, muss sich abspielen, um den Weltstaat, ohne Zölle und ohne Pässe, mit Weltsprache und mit Kurzschrift für diese, möglich zu machen. Ich lebe schon in diesem Weltstaat, habe Korrespondenzen über den ganzen Erdball. Ich tue mir leid, dass ich schon geboren bin, ich möchte noch die kommende gewaltige Weltrevolution des Geistes erleben.“ …

Ja, Peus war ein Visionär! Der 1862 in Elberfeld, einem Ortsteil von Wuppertal, Geborene, kam aus einer Handwerkerfamilie. Die Dynamik der Industrialisierung muss ihn geprägt haben. Das Handwerk hatte es schwer mit der Industrie zu konkurrieren, aber es muss beeindruckend gewesen sein, welche Kraft die Industrialisierung hervorbrachte, wirtschaftlich aber auch politisch.

Er ging nach Berlin und studierte dort Theologie, Ökonomie und Geschichte. Er selbst bezeichnete sich als Monist, als jemand der alles auf ein Grundprinzip zurückführt.

Zum „Visionär sein“ gehört Glauben. Die Auseinandersetzung mit theologischen Fragen hat ihn sicher darin unterstützt. Ökonomie und Geschichte lassen Zusammenhänge erkennen. Ob Peus jemals einen akademischen Abschluss erhielt, ist nicht bekannt. Die Beschäftigung damit war sein Rüstzeug.

Anfänglich lebte er als Schriftsteller, worin die Wurzeln zu sehen sind für spätere verlegerische Arbeiten und die Herausgabe von Zeitungen.

Sein sozialdemokratisches Denken und sein 1890 erfolgter Parteieintritt verhalf ihm über die SPD zu politischen Mandaten zu kommen.

Er war im Reichstag der Weimarer Republik vertreten, im Anhaltischem Landtag, wo er 10 Jahre auch dessen Präsident war. Aber auch in der Kommunalpolitik war Peus angesiedelt.

33 Jahre vor Walter Gropius beginnt Heinrich Peus seine Arbeit in Dessau. Der damalige Dessauer Oberbürgermeister Fritz Hesse sagte: „ Mit ihm kam der Mann nach Dessau, in dessen Person sich vier Jahrzehnte hindurch in der Stadt Dessau und darüber hinaus in ganz Anhalt die Sozialdemokratische Partei gewissermaßen verkörperte und dessen zielbewusste und gänzlich unorthodoxer Führung sie in erster Linie ihren Aufstieg und die beherrschende Stellung zu verdanken hat, die sie später längere Zeit im Lande wahrnahm“…

Peus gründete das „Volksblatt für Anhalt“, organisierte die SPD und führte sie zur führenden politischen Kraft im Lande. Als ehemaliger Student der Theologie, Philosophie, Geschichte und Ökonomie verfügte er über ein weitgefächertes Wissen und ließ sich durch Ideologien, Dogmen und Parteidisziplin in seinem Denken nicht einschließen. „Ich hasse die Parteisklaverei nicht minder wie die Kirchensklaverei“. In den Jahren 1892 – 95 wurde er mehrmals wegen Majestätsbeleidigung angeklagt, verurteilt und musste etwa 2 Jahre im Gefängnis zubringen. Durch diese Prozesse wurde Peus in ganz Deutschland als Gegner des Militarismus bekannt. Schon 1893 veranstaltete er in Dessau die erste „ Anti- Sedanfeier“.

1901 gründete er einen Konsumverein. Ein Jahr vorher hatte er sich um eine Spar- und Baugenossenschaft bemüht. Auf seine Initiative wird 1904 die „Arbeiterdruckerei“ in Form einer Genossenschaft neu organisiert. Als es 1910 gelingt, das bürgerliche Vergnügungslokal „Tivoli“ in ein sozialdemokratisches Kulturhaus zu verwandeln, war das nur mit den gut arbeitenden Vereinen und Genossenschaften zusammen möglich. Sie bildeten die „Gesellschaft Tivoli“.

Das „Tivoli“ wird zum kulturellen und politischen Zentrum der Sozialdemokratie. Die verschiedensten Vereine haben hier ihr Domizil. In dem großen Saal mit 2ooo Sitzplätzen tagte z.B. der Anhaltische Heimstättentag, hier trat Adolf Damaschke in einer Großveranstaltung auf, 1923 wurde hier der anhaltische Siedlerverband gegründet. Vor allem aber fand hier Heinrich Peus sein Publikum, das ihn wie einen Volkstribun verehrte. Hier entwickelte er seine Visionen von einer gerechteren Welt und setzte seiner Partei weit vorausgedachte Ziele. Ihre Realisierung überlässt er seinen Parteifreunden, solchen Pragmatikern wie Heinrich Deist.

Hier ein Zitat : „ … Er trieb die Arbeiter mächtig an zur organisatorischen Gegenwartsarbeit. Um die Umsetzung seiner Pläne brauchte er sich nicht zu kümmern. Dazu war ich da…“ (H. Deist).

Bereits vor dem ersten Weltkrieg kämpfte Heinrich Peus für würdige Arbeiterwohnungen in „ Siedlungshäusern im Grünen“ Lange bevor das Bauhaus seine Siedlung in Törten baute, waren schon Arbeitersiedlungen in Dessau entstanden „ Askania“ ( 1912), „ Hohe Lache“ (1919), „ An der Kienheide“ (1923)… Und die „Knarrbergsiedlung“ war in Vorbereitung unter Leitung eines Schülers des Wiener Architekten Loos.

Als das Bauhaus in Weimar geschlossen werden sollte und über eine Neuorientierung nachgedacht wurde, war Peus überzeugt, dass nirgends das Umfeld so gut vorbereit war wie in Dessau, um dem Bauhaus Lebens – und Arbeitsmöglichkeiten zuzusichern.

Über einen Besuch in Weimar hat Hesse über Peus in seinen Memoarien folgendes festgehalten:

„ … aus der Unterhaltung mit Gropius hatte er die Überzeugung gewonnen, dass sich die Idee und Arbeit des Bauhauses mit eigene Ideen berührten und er zweifelte nicht, dass die Übernahme des Bauhauses auch seinen Lieblingsgedanken, der Schaffung von Eigenheimen neuen Auftrieb geben würde. Es war deshalb kein

Wunder, dass das Gespräch mit Gropius den begeisterungsfähigen Mann in einen Zustand freudigster Erregung versetzt hat. Die Dessauer (Delegation unter Hesse) schickten sich gerade an, die Treppe nach dem oberen Stockwerk hinaufzusteigen, als Peus die Stufen hinuntereilte. Bei ihrem Anblick vermochte er seine innere Erregung nicht mehr zu beherrschen. In großer Ektase rief er ihnen mit lauter Stimme zu : wenn ihr es nicht macht, machen wir es!“ In Folge kam es zu dem Stadtratsbeschluss der das Bauhaus nach Dessau holte. Etwa 75 Jahre später wird das Bauhaus zum Weltkulturerbe erklärt… eine anerkannte internationale Beachtung! Für Peus ist damit ein weiters Stück Vision in Erfüllung gegangen und für uns heute eine Aufforderung damit umzugehen.

Viel ist über und seine Zeit zu berichten…

Doch der Blick zurück soll nicht nur Geschichte erzählen, sondern Kraft und Energie geben, sich den heutigen Fragen zu stellen und nach Lösungen zu suchen.

Text: Robert Hartmann