Neujahrsrede des Vorsitzenden des SPD Stadtverbandes Dessau-Roßlau, am 14. Januar 2020 (gekürzt)

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe SPD-Mitglieder! Werte Gäste!

Ich freue mich, Sie hier begrüßen zu dürfen. Neujahrsempfänge sollen einerseits einen Dank aussprechen, andererseits einen Blick zurück, aber mehr noch eine Vorschau in die Zukunft geben. Wir steigen in ein neues Jahrzehnt ein. Rückblickend spricht man von “wilden 20-er” und meinte die Zeit der Weimarer Republik, zwischen dem 1. Weltkrieg und den Machtantritt der Nazis. Einem Jahrzehnt, das vom Wandel geprägt war und in vielerlei Hinsicht ein Neustart gewesen ist. Werden die 20-er Jahre des 21. Jhd. auch wild? Wir wissen es noch nicht. Wir wissen aber, dass wir sie gestalten können!

Das zurückliegende Jahr endete mit dem Jubiläum des 30-jährigen Falls der Mauer, die Deutschland 28 Jahre teilte.

Das beginnende Jahr wird geprägt sein durch 30 Jahre Wiedervereinigung. Auch dies ist ein Jubiläum, dessen Auswirkungen bis heute unser Zusammenleben bestimmt.

Diese Ereignisse zu werten, erreicht nur einen Teil der Gesellschaft. Insbesondere unsere Jugend wird sich damit nur wenig auseinandersetzten. Für sie ist der Blick in die Zukunft wichtiger.

In den Wahlen der letzten Jahre hat die SPD nicht gut abgeschnitten. Die SPD wird aktuell als Volkspartei in Frage gestellt. Warum das so ist, versuchte ein Jugendlicher vor einigen Monaten in knappen Sätzen wiederzugeben:

“Die Partei (SPD) wird als völlig profillos wahrgenommen!

  • Die AfD steht eindeutig für “früher war alles besser”.
  • Die Union steht klar für “Veränderung ist blöd”.
  • Die Grünen stehen für “an die Zukunft denken”.
  • Die FDP steht klar für “Reichtum ist geil”.
  • Die Linke steht für “Reichtum ist scheiße”.

…und die SPD steht für…? Ehm? Ja…?

Sie ist Grün mit weniger Öko, sie ist Union mit weniger Tradition, sie ist die Linke mit weniger Sozial und sie ist die FDP mit weniger Deregulierung. Man sieht sich als die Definition der Mitte; von allem nichts und von allem etwas. Klimaschutz mit Kohlekraftwerken, soziale Gerechtigkeit mit Zeitarbeit und offene Gesellschaft mit dem Segen der katholischen Kirche…

Egal, welche Position man auch vertritt, es findet sich immer eine Partei, die diese mit mehr Nachdruck teilt – und vor allem die jeweilige Gegenposition klar ablehnt.”

 Ist es an dem? Erlauben sie dazu ein paar Ausführungen.

Um meine Sicht dazu darzustellen, brauchen wir den Rückblick. Die Herbstereignisse von 1989 waren unbestritten beeindruckende Ereignisse. Die Zeit war reif für Veränderungen und der Wille nach Veränderung lag in der Luft. Unsere Gesellschaft ist geprägt von Wandel. Zu allen Zeiten und Epochen gab es Veränderungen, die sich einerseits im Selbstlauf vollziehen, anderseits aber gestaltet werden müssen. Es ist die wesentlichste Aufgabe von Politik, aus einem unkontrollierten Selbstlauf einen gestalteten Wandel zu entwickeln. In der Politik gibt es keine absolute “Richtigkeit” oder “Falschheit”. Es gibt Denkrichtungen, und eine gesellschaftliche Mehrheit führt die jeweilige Richtung an. Dies kann für den Einzelnen hart sei, wenn seine Richtung nicht angenommen wird. Eine Einheitsmeinung gibt es nicht. Also muss für die jeweilige Denkrichtung gestritten werden. Im Ergebnis kommt es zu Kompromissen. Das ist ein gesellschaftlicher Konsens, der zwar nicht beliebt, aber unauskömmlich ist. Eines geht aber grundsätzlich nicht, und das ist Stillstand und Festhalten! Die Veränderung kommt – in unserer Hand liegt es, diese zu gestalten!

In diesem Prozess steckt auch die SPD. Es ist gut, wenn darüber geschritten wird, ob die SPD sich als eine breit aufgestellte Partei der Mitte sieht oder sich profiliert und gezielt nur für einzelne Schwerpunkte steht. Dieser Prozess ist positiv zu sehen, weil darin die Suche auf Antworten zur Zukunft stecken.

Zukunft heißt in etwas neues eintreten. Zukunft ist etwas komplexes. Zukunft ist nicht nur privat, Zukunft ist regional und global. Zukunft betrifft jeden Erdenbürger, sie ist etwas gemeinschaftliches. Somit heißt Zukunft auch aktiv sein und Mitwirken.

 

Bei unseren Neujahrsempfängen ist es üblich, musikalische Einlagen zu bringen.

Bei unseren heutigen Thema bietet es sich an, an den Soundtrack des Herbstes 1989 zu erinnern. Die Band Scorpions produzierte im Sommer ´89 den Titel “Wind of Chance”, einen Titel der die Stimmung in der damalige Sowjetunion wiedergab. Mit Michael Gorbatschow zog ein Wandel in das starr danieder liegende Land.

Der “Wind der Veränderung”, der hier besungen wird, blies aber nicht allein durch das Sowjetreich sondern über ganz Osteuropa. Der Song wurde unbewusst zu einer Hymne und Begleitmusik der Umbrüche im Herbst ´89. Er kann aber auch die Begleitmusik der Zukunft sein, denn auch dort wird Wandel stattfinden.

Die Textpassage:

               Die Zukunft liegt in der Luft
Ich kann sie fühlen, überall
Sie weht mit dem Wind der Veränderung
ist auch heute noch aktuell.

(Der Song wird live gespielt, eine Interpretation von Christoph Rossner)

Ein Teil der jungen Generation hat verstanden, dass unsere Zukunft von der Lösung globaler Fragen abhängig ist. Dazu gehört das Thema Klima. Ja, es ist so – das Klima ist eine existenzielle Frage und geht nur global zu lösen, natürlich mit persönlichen und regionalen Schritten. Die Gemeinschaft aller wird gebraucht und das Verständnis jedes Einzelnen. Diplomatie in der Außenpolitik, das Reduzieren von militärischen Konflikten, fairer Handel, Partnerschaften in Augenhöhe, eine sozial ausgewogene Gesellschaft sind für eine friedliche und freiheitliche Zukunft notwendig.

Hat der Jugendliche, den ich am Anfang erwähnte, recht, die Parteien in Schubläden zu verpacken und der SPD Profillosigkeit vorzuwerfen?

Es ist leicht, sich nach persönlicher Stimmungslage oder nach aktuellen Stimmungsbildern zu orientieren. Es wird aber schwieriger sich komplexen und voll umfänglichen Fragen zu stellen.

Die Forderung nach “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit” war der Zündstoff, der im Zeitalter der Aufklärung geschaffen wurde und in Folge die freiheitliche, soziale und liberale Gesellschaft formte. Wir können glücklich sein, in einer solchen Gesellschaft zu leben. Sie ist bei weitem noch nicht perfekt, aber gestaltungsfähig!

Ich persönlich will keine ausgefeilte Profilierung in dieser oder jener Richtung. Ich möchte eine freie Gesellschaft, die in ihrer Breite und Vielseitigkeit zu entwickeln ist. Das erwarte ich von der SPD! Sie hat ihr Grundsatzprogramm welches die komplexe Sicht und Verantwortung wiedergibt. Genau dies ist aus meiner Sicht wichtig! Nicht irgendein Profil, sondern der klare Grundsatz Politik als etwas Komplexes zu sehen, hat mich bewogen in dieser Partei mitzuwirken.

 

Der Wandel in der Gesellschaft zeigt, das Gestaltung dazu gehört. Es bedarf einer Weitsicht, nicht nur im Rahmen einer Legislatur zu denken oder dem Nachlaufen schneller kurzfristigen Lösungen. Politik bedarf einer Vision. Aus meiner Sicht sollte nicht vordergründig darüber diskutiert werden wie es gerade ist, sondern wie es sein könnte. Demokratie ist dabei ein Werkzeug. Eine Gesellschaft auf diesem Weg zu gestalten benötigt Zeit. Am Ende steht ein Kompromiss, ein Gesamtbild vieler Visionen. Es bedarf den Konsens aller Beteiligten. Ob sogenannte  “Macher”, die behaupten mit “harter Hand” und schnellen Entschlüssen zu Entscheidungen zu kommen, die richtigen sind, ist zu bezweifeln.

Im Augenblick arbeiten wir als örtliche SPD an einer Vision für unsere Stadt, einer Ausschau, wie wir uns unsere Stadt in 10, 20 oder gar 30 Jahren vorstellen. Es geht darum zu sagen wie es sein könnte!

Das Interesse der Mitwirkenden zeigte, dass die Themenvielfalt breit gestreut und komplex ist.

Wir laden ein Mitzuwirken, wer möchte kann sich gerne bei uns melden.

Wenn eine Gesellschaft in Freiheit leben möchte, so ist der Preis der Freiheit aktives “Mitmachen”. Demokratie ist ein “Mitmachprogramm”! Es gibt keine “die da oben ” oder “wir hier unten”. Es sind alles gewählte Menschen aus unserer Mitte. Mit unserer Wahl lassen wir es zu, in unserem Namen Entscheidungen zu fällen.

Ich erwarte keine aalglatten, profilgestylte Politiker/Volksvertreter. Ich möchte umsichtige, global denkende und regional agierende Vertreter nach dem Grundsatz von “Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit”! Auch wenn dieser Grundsatz heute altmodisch klingen mag, so ist er immer noch aktuell. Heute würde man sagen “Freiheit, Chancengleichheit, Menschlichkeit”! Das ist für mich Profil!

 

Politik heißt mitmachen! Jede Partei hat ihre Ortsvereine.

Auf dieser Ebene entstehen Meinungsbilder und letztlich werden dort die Kandidaten benannt die in den weiteren Gremien ihren OV vertreten. Aktives Mitmachen heißt unter Menschen zu treten und zu reden! Früher sagte man einen Disput führen, heute streitet man. Egal, gemeint ist das selbe, es ist der direkte Austausch in einer Sachfrage und das ringen nach einer Lösung. E-Mails und Kommentare von der Coutsch aus senden, hilft da nicht viel. Auch der Wahlgang zur Urne ist nur ein Schritt. Ein Schritt davor ist die Mitwirkung bei der Aufstellung der Kandidaten.

Ich werbe hier bewusst für das Mitwirken in Parteien, weil ich davon überzeugt bin, dass es die bisher beste Möglichkeit ist, einen Gesellschaft zu gestalten. Es gibt aktuell kein besseres System! Die Parteien haben die Möglichkeit, vom lokalen Umfeld bis in die Europapolitik mitzubestimmen. Bürgerlisten und Wählervereinigungen sind in der Regel nur lokal aktiv und in lokalen Projekten integriert. Dies ist aber nur einseitig gut, da dort keine ganzheitliche Politik gemacht wird. Wir brauchen aber eine komplexe Politik, in den Landes- und Bundesparlamenten und natürlich auch auf der Ebene der EU!

Ehrenamtliches politisches Engagement ist mehr als nur ein “zwei Stunden-Wochenprogramm”. Die, die es tun, geben viel mehr! Dafür ist Dank zu sagen!

Danke an Sie alle, die sich aktiv für unsere Gesellschaft und das Gemeinwohl einsetzen!

Verleihung Willy-Brandt-Medaille an Angelika Storz

Der Titel “Freiheit” von Marius Müller-Westernhagen gibt den Wunsch nach Freiheit wieder . Er entstand 1987.

Westernhagen sagte nach dem Mauerfall :Ich hatte am Anfang „nicht den Fall der Mauer oder die Wiedervereinigung im Kopf“ gehabt. Das Stück zeige, „dass künstlerische Produkte ein Eigenleben annehmen können. Wenn es in diesem Fall dazu gedient hat, dass der Song Menschen Kraft und Hoffnung gegeben hat, ist das ein glücklicher Umstand, der mich natürlich sehr freut.“

(Der Song wird live gespielt, eine Interpretation von Christoph Rossner)

 

Grußwort Fraktion

Grußwort des Oberbürgermeisters

Grußwort Holger Hövelmann, MdL

Zum Abschluss hören wir noch den Titel “One” von U2 .

Es gibt unterschiedliche Auffassungen, ob es ein Liebeslied ist oder auch einen gesellschaftlichen Ansatz hat. Der Song entstand 1992, also nach den Ereignissen der Umbrüche von 1989/1990. Der Titel beginnt mit drei Fragen:

               Wird es jetzt besser?
Oder fühlst du dich noch wie vorher?
Fällt es dir jetzt leichter,
wo du einen hast, dem du die Schuld geben kannst?

 

Der Titel  endet mit :

               Du musst tun, was du tun solltest.
Ein Leben miteinander.
Schwestern und Brüder.

               Ein Leben, aber wir sind nicht gleich.
Wir müssen uns gegenseitig tragen,
Uns gegenseitig tragen.

 

Ich denke es ist ein guter Schluss!

Ich danke für Ihr Kommen, behalten Sie ihre Zuversicht und ihr Vertrauen in die Politik, machen Sie mit und denken Sie immer daran, dass Freiheit und Demokratie zusammen gehören und dass diese durch Mitmachen gestaltet werden muss.

Ich wünsche ihnen allen ein gesundes, friedvolles, erfolgreiches Jahr 2020!

(Der Song wird live gespielt, eine Interpretation von Christoph Rossner)

Robert Hartmann